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ORTSGESCHEHEN

Wir sind so weit gekommen - aber wollten wir da hin?

Wenn sich ein Projekt so lange hinzieht wie die geplante "Bahn im Tunnel", dann ist es nur logisch, dass sich auf dem langen Weg Voraussetzungen verändern und Ziele korrigieren. Und es ist auch unvermeidlich, dass Fronten aufgebaut werden, die dann allein schon gehalten werden müssen, weil sie nun personalisiert sind.
Aber auch wenn das Ziel der tiefergelegten Bahn gerade verblüffenderweise den kompletten Gemeinderat hinter sich versammelt, sollte es nichtsdestoweniger doch auch mal auf den Prüfstand.

Die Vision von der "Bahn im Tunnel" hat 1990ff. Oberschleißheim euphorisiert, weil da mit einer großen Geste ein ganzes Bündel von Problemen aufgelöst werden sollte: die Bahnlinie sollte ohne Nachteile für die Anlieger fit gemacht werden für langfristigen Ausbau, der Lärmschutz sollte ohne optische Zumutungen auf absolut null Krach perfektioniert werden, die unerträgliche Kreuzung der B471 mit der Schiene aufgelöst werden - und als Zubrot auch noch der Ort eine völlig neue Dimension bekommen durch ein barrierefreies Zusammenwachsen von Ost und West. Ein bunter Bürgerpark auf der Tunneldecke in friedlicher Ruhe als Ortsscharnier statt Schienen mit Dauerlärm als stählerne Grenze - ja!
 
Die Strahlkraft dieser bestechenden Vision hat die "Bahn im Tunnel" auch noch durch den Bürgerentscheid 2009 getragen, mit dem eine - übrigens vom heutigen Bürgermeister Christian Kuchlbauer federführend inszenierte - Straßenunterführung zur Auflösung der Bahnschranke abgelehnt worden war. Und ich denke, es ist dies ein Oberschleißheimer Idealbild, dem auch heute unverändert zu folgen wäre.
 
Aber welche der damaligen Träume werden denn von den jetzigen Plänen noch eingelöst? Die entscheidende Abweichung liegt doch schon im Namen. Die Bahn würde heute eben nicht mehr in einen Tunnel kommen!
Für die städtebauliche Vision eines Orts ohne Trennlinie wäre mit einem Trog absolut nichts gewonnen. Statt ebenerdiger Gleiskörper würde künftig ein Betontrog den Ort unverändert zerschneiden. Wie bisher Unterführungen würden nun einzelne Übergänge geschaffen. Es gäbe keinen Ansatz von mehr Verbindung der Ortsteile, es gäbe keinen Millimeter neu gewonnenen öffentlichen Raum. Kein Bürgerpark, nirgends.
 
Der Lärmschutz für Anlieger würde verbessert. Dies geschähe mindestens auf mehrere Dutzend Meter an den Trog-Enden mit bis zu vier Meter hohen Lärmschutzwänden. Diese Horrorvision war vor 26 Jahren der Impuls, aus dem heraus "Bahn im Tunnel" überhaupt entstand! Von solchen Monsterwänden sollten die Gemeinden an der S1 nicht zerstückelt werden. Jetzt sollen sie - auf kleinerer Fläche zwar - Teil der Lösung sein?
 
Seit 1990 hat die Bahn alle irgendwann angekündigten Ausbaumaßnahmen auf der Strecke am Ende doch im Sand verlaufen lassen. Der Leistungsfähigkeit der Problemlinie innerhalb des S-Bahn-Netzes hat das nicht zwingend gut getan. Mit der zementierten Verengung auf zwei Gleise im Trog würde jedwelche Zukunftsfähigkeit beschnitten. Was auch immer die Bahn irgendwann auf der Strecke planen mag - ein limitierender Faktor wären dann künftig 1700 Meter durch Oberschleißheim, die auf zwei Gleise (inclusive 200 Meter Wendegleis am Trog-Boden) festgelegt sind.
 
Was die neue Lösung als Zugabe liefert, ist schließlich etwas, das nie gewollt war: eine Verlegung des Bahnhofes. Oberschleißheim wollte stets - technisch und daher auch inhaltlich völlig losgelöst von den Tunnelplänen - einen zusätzlichen (!) S-Bahn-Halt auf Höhe des Schlosses zur Anbindung der Schlösser und der Flugwerft und neuerdings eben auch des Uni-Campus. Von der Aufgabe des bisherigen S-Bahn-Halts war nie die Rede.
Auch wenn seine Platzierung und die Gestaltung seiner Infrastruktur vor 1972 wahrscheinlich die ortsplanerische Todsünde der Gemeinde in der Moderne überhaupt war, so hat sich nun 44 Jahre die weitere Entwicklung an ihm ausgerichtet. Vielleicht ist es bestenfalls ein Nullsummenspiel, wenn es jetzt hunderte potentielle Fahrgäste näher haben und hunderte bestehende weiter - aber für ein Nullsummenspiel ist es schon etwas viel Aufwand.
 
Und weiter unbeantwortet ist auch durch "Variante 1b+" schließlich der einzige Konstruktionsfehler der "Bahn im Tunnel" schon seit jeher: was passiert mit dem Ort, wenn die B471 ungebremst durchbrausen kann? Seit den ersten Tunnelforderungen haben weder die "BIT"ler noch die späteren Freunde der Straßenunterführung hierfür einen Plan. Beider Credo ist nur: so gaach werds scho ned wern...
Die B471 ist in allen Gemeinden zwischen Haar und Fürstenfeldbruck - außer Oberschleißheim natürlich - wegen der exorbitanten Verkehrsbelastung auf Umgehungsstraßen verlegt. Überall, wo die Trasse noch nicht drei- oder vierspurig ausgebaut ist, soll das mit dem jetzigen Bundesverkehrswegeplan nachgeholt werden. Und in Oberschleißheim wird der Verkehr auf dieser Straße innerorts zweispurig gemütlich dahinplätschern und die jetzt schon regelmäßigen Staus lagen alle an der Schranke?
Welcher Oberschleißheimer braucht den Übergang? Muss es Oberschleißheimer Angelegenheit sein, das Problem des Durchgangsverkehrs zu lösen? Es wäre ureigene Aufgabe der Gemeinde, ihre Anlieger vor Lärm und Abgasen durch die Staus zu schützen, ja. Aber da ist es eine Glaubensfrage, ob es die Dauerstaus entlang der Dachauer Straße jetzt wegen oder trotz der Schranke gibt. Staut es sich trotz der Schranke, weil nur diese maximale Belästigung des fließenden Verkehrs noch mehr Durchfahrten verhindert, dann macht der freie Übergang den Stau im Nadelöhr Oberschleißheim erst zum Normalzustand.
 
Der Bahntunnel, den es 1990 wohl für geringere Kosten in D-Mark gegeben hätte als heute in Euro, wäre wohl immer noch das höchste Gefühl Oberschleißheimer Ortsplanung. Wird die 2016er Troglösung für 150 Millionen Euro plus x den damaligen Absichten wirklich noch gerecht?
 
(hierzu sind Lesermails eingegangen)


26.10.2016    |    Ihre Meinung dazu...    |    nach oben    |    zurück

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